Fortsetzung Artikel "Recht - aber richtig?"

 

„Gnade vor Recht“, mahnt Matthias Larasser an. Nein, es gehe nicht darum, Gesetze zu beugen. Er wolle nur, dass über seinen Mitarbeiter nicht allein mit der Kälte bürokratisch-juristischer Argumente befunden werde, sondern auch mit Herz und Verstand. Der 55-jährige Kunstschmiedemeister und Diplom-Bildhauer sowie seine rund 20 Mitarbeiter kümmern sich seit Februar um Oni. Weshalb der Chef auch für diese und sich verlangt, dass „unser vom Staat ausdrücklich gefordertes Engagement, solche Menschen ins Arbeitsleben zu integrieren, nicht mit einer eiskalten Abschiebung konterkartiert wird“.

Zika Oni wurde 1990 in Nigeria geboren. Mit sieben Jahren – frühere Erinnerungen hat er nicht – habe ihn der Vater in eine Metallwerkstatt zum Arbeiten geschickt. Es wäre um Schulden des Vaters gegangen, die er so hätte helfen müssen, zurückzuzahlen. „Die Arbeit war schwer, aber ich habe gern mit Metall gearbeitet, Schweißen gelernt und Geld verdient, das ich meinem Vater gab“, erinnert sich Zika. Dass er nicht mehr zur Schule gehen konnte, tat ihm leid. Er hatte gerade sein erstes Grundschuljahr hinter sich gebracht – später sollte er nur noch sporadisch die Schule besuchen.

2001, Zika ist elf Jahre alt, stirbt der Vater bei einem Unfall. Der Junge kommt zu einem Onkel, der Kontakt zur Mutter verliert sich. Ende 2010, genau weiß er es nicht mehr, verlässt er Nigeria. Die deutschen Behörden unterstellen im späteren Asylverfahren wirtschaftliche Fluchtgründe. Zika erzählt von einer religiösen Sekte, die ihn unter Druck gesetzt hätte.

Auf Lastwagen durchquert Zika Nigeria, Niger und die libysche Sahara um schließlich in Tripolis zu landen. Für die rund 5.000 Kilometer braucht er acht Monate, bringt sich, wo es geht, mit Hilfsarbeiten durch. In Tripolis wartet er auf ein Boot, das ihn nach Europa bringen könnte, lebt als Tagelöhner von der Hand in den Mund. Dauerhafte Arbeit gibt es nicht. Ein festes Dach über dem Kopf auch nicht. Sicherheit für Leib und Leben sowieso nicht.

Im Oktober 2013 klappt es mit der Überfahrt nach Italien. Er darf in einem sozialen Gartenbauprojekt mitarbeiten, bekommt ein Bett in einer Sammelunterkunft. Aber Anfang 2014 wird dem Projekt der Geldhahn zugedreht. Zika verliert Arbeit und Unterkunft, lebt auf der Straße. Ein Italiener, vielleicht ein Sozialarbeiter, sagt ihm, er werde in Italien niemals in Lohn und Brot kommen. In Deutschland aber gebe es Arbeit. Er kauft Zika eine Fahrkarte und bringt ihn zum Bahnhof. Im März 2014 steigt Zika in Deutschland aus einem Zug.

Ihm wird eine Flüchtlingsunterkunft in Grafing im Landkreis Ebersberg zugeteilt, nach deren Auflösung kommt er in eine Sammelunterkunft in Eglharting. Die geht wegen ihres katastrophalen Zustands mehrfach durch die Presse. Zika wohnt bis heute dort.

Während das Asylverfahren läuft – es wird sich über vier Jahre ziehen – bekommt Zika im Mai 2015 einen Praktikumsplatz, im August den nächsten in einem Metallbetrieb in Grafing. Dort kümmern sich die Chefs fürsorglich um den jungen Mann, helfen ihm, sich im deutschen Alltag zurechtzufinden und unterstützen ihn bei der Arbeit als Werkstatthelfer. Seither bekommt Zika kein Geld vom deutschen Staat. Der Werkstatthelfer bestreitet sein Leben von seinem kleinen Lohn. Er spart sogar für den Pkw-Führerschein. Anfang 2019 besteht er die Prüfung und hält seinen ersten „richtigen“ deutschen Ausweis in Händen: den Führerschein.

In der Metallwerkstatt sind nicht alle Mitarbeiter vom neuen Kollegen begeistert. Es kommt zu Reibereien, auch wegen Zikas Herkunft und Hautfarbe. Schweren Herzens kündigt ihm sein Arbeitgeber Ende 2018. Einen Monat lang bekommt Zika Arbeitslosengeld, dann hat seine ehrenamtliche Betreuerin die Kunstschmiede von Matthias Larasser-Bergmeister für Zika gefunden. 

Wie bei allen neuen Mitarbeitern, besteht der Unternehmer auch bei Oni auf ein Praktikum. Und ist überrascht: „Zika hat sich gut angestellt, zeigte sich geschickt, fleißig und zuverlässig.“ Auch die Kollegen lernen Zika schätzen. Der freut sich: „Ich fühle mich wohl in der Schmiede und die Kollegen sind freundlich zu mir. Sie helfen mir und sie sagen danke, wenn ich ihnen helfe.“

Larasser-Bergmeister erkundigt sich beim Arbeitsamt wegen eines Eingliederungszuschusses. Der wird sofort gewährt: Von März 2019 bis März 2020 will sich das Arbeitsamt zur Hälfte an den Lohnkosten für Zika beteiligen um „die betroffene Person dauerhaft beruflich einzugliedern“. Die Kunstschmiede verpflichtet sich, ihn bis Frühjahr 2021 zu beschäftigen. Die Ausländerstelle im Landratsamt stellt Zika eine Arbeitserlaubnis aus – bis März 2022. Zika Oni und sein Chef verstehen das so, dass sie die nächsten drei Jahre miteinander arbeiten können. Es scheint, als ob die traurige Geschichte des Zika Oni eine glückliche Wende nehmen würde.

Es kommt anders: Schon 2017 hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Onis Asylantrag abgelehnt. Nun wird im Juli 2019 auch der Einspruch abgewiesen. Damit steht fest: Zika Oni bekommt in Deutschland kein Asyl.

Larasser-Bergmeister schaltet die Abgeordneten Thomas Huber (MdL) und Andreas Lenz (MdB) ein, wendet sich an den Ebersberger Landrat Robert Niedergesäß und dessen Leiter der Ausländerstelle. Es müsse doch möglich sein, zu verhindern, dass ihm mit Zika Oni ein Mitarbeiter entzogen werde, der dabei sei, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, der arbeite und niemandem auf der Tasche liege. Die Abgeordneten bitten den Bayerischen Innenminister Joachim Herrmann um eine Einzelfallprüfung für Oni. Doch Herrmann beharrt auf der Trennung von Asylrecht – nach dem Oni nicht bleiben dürfe – und dem Arbeitsmarktzuwanderungsgesetz – das für Oni nicht infrage komme, weil er sich dazu nicht bereits in Deutschland aufhalten dürfe. Im Landratsamt gibt man einen Tipp: Oni solle doch nach Nigeria zurückgehen und in der deutschen Botschaft ein Arbeitsvisum beantragen. Mit diesem könne er legal nach Deutschland einreisen und wieder in der Kunstschmiede arbeiten. 

Was wie eine komplizierte, aber immerhin irgendwie zu bewerkstelligende Lösung aussieht, entpuppt sich als „Falle“, so sieht es Larasser-Bergmeister. Die Deutsche Botschaft in Lagos teilt nämlich auf Anfrage mit, einen solchen Visumsantrag „frühestens im Mai 2021 anzunehmen. Larasser-Bergmeister: „Zika soll also nach Nigeria fliegen, dort eineinhalb Jahre warten – wovon immer er in dieser Zeit auch leben mag –, dann ein Visum beantragen und weitere Monate darauf hoffen, dass ihm ein Visum bewilligt wird – oder nicht!“

Larasser-Bergmeister bittet erneut Landrat Niedergesäß und die Ausländerstelle im Landratsamt zu überprüfen, ob Zika wenigstens bis zum Abschluss einer Ausbildung zum Metallhandwerker bleiben könne. Er werde die Kosten für die Ausbildung übernehmen. So schicke man später wenigstens einen ausgebildeten Handwerker fort, der in der Lage wäre, sich in seinem Heimatland oder anderswo eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Parallel dazu wendet sich der Unternehmer an die Presse und initiiert eine Petition an den bayerischen Landtag, um die Abschiebung Onis auszusetzen. Keine 24 Stunden nach Start des Petitionsaufruf haben bereits 424 Menschen unterschrieben – 42 Prozent der erforderlichen 1.000 Unterstützer, die benötigt werden. 

Wir kommen ans Ende dieser traurigen Geschichte um einen Nigerianer, der in Deutschland friedlich leben und arbeiten möchte, ohne jemandem auf der Tasche zu liegen. Dessen Arbeitgeber bereit ist, ihn zum Facharbeiter auszubilden. Und dessen Kollegen, Freunde und Bekannte nicht verstehen, warum Zika Oni in ihrer Mitte keinen Platz finden darf. 

Am 7. November 2019 wird Oni ins Landratsamt einbestellt, wo man ihm eröffnet, dass er in den nächsten drei Wochen, spätestens am 26. November, Deutschland verlassen müsse. Sollte er nicht freiwillig ausreisen, werde man ihn „nach Nigeria oder in einen anderen Staat“ abschieben. 

An diesem 7. November schreibt der Fachverband Metall Bayern die Kunstschmiede an. Man suche Betriebe für Auszubildende aus Marokko. Man wolle damit „die reguläre Arbeitsmigration und Fachkräftegewinnung … unterstützen“. Larasser-Bergmeister ist fassungslos: Der Staat reißt ihm gerade einen integrierten, arbeitsamen und seit Jahren in Deutschland lebenden Mitarbeiter aus der Werkstatt und bittet ihn gleichzeitig, einen jungen Marokkaner auszubilden! 

Noch eine Woche bis zum 26. November. Wenn nicht doch ein Wunder geschieht, wird Zika Oni in seinem alten Auto über die Grenze fahren. Wohin weiß er nicht. Er weiß nur, dass er Deutschland mehr vermissen wird, als alles andere in seinem Leben.

 

Das Land, das dann Weihnachten feiert.

 

Manfred Ruopp

 

Sie können die Online-Petition an den Bayerischen Landtag zugunsten Zika Oni unterstützen: